Sexualstrafrecht bundesweit
Wenn zwei entgegengesetzte Schilderungen eines Geschehens aufeinandertreffen – ohne Zeugen, ohne objektive Spuren – entsteht eine der heikelsten Situationen im Strafverfahren: Aussage gegen Aussage. Gerade im Sexualstrafrecht ist diese Konstellation nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Für die beschuldigte Person steht dabei häufig nicht weniger als die gesamte persönliche und berufliche Existenz auf dem Spiel.
1. Anzeige wegen Vergewaltigung – Aussage gegen Aussage
Wer eine Anzeige wegen Vergewaltigung erhält, wird oft ohne jede Vorwarnung mit einem der schwerwiegendsten Vorwürfe konfrontiert, die unser Strafrecht kennt. Nicht selten schildern Mandanten, dass sie das Schreiben der Polizei oder Staatsanwaltschaft mehrfach lesen mussten, unfähig zu glauben, was ihnen zur Last gelegt wird.
In vielen dieser Fälle beginnt ein Verfahren, das sich allein auf die Aussagen der Beteiligten stützt – denn objektive Beweismittel wie Zeugen, Spuren oder Videoaufzeichnungen existieren meist nicht. Übrig bleiben zwei Darstellungen: die der anzeigenden Person und die eigene. Wer in dieser Situation unvorbereitet reagiert, läuft Gefahr, sich in eine Verteidigungslage zu bringen, aus der es kaum ein Zurück gibt.
Im Mittelpunkt steht häufig nicht der sexuelle Kontakt als solcher, sondern die Frage, ob dieser gegen den erkennbaren Willen der anderen Person erfolgte – ob also eine sexuelle Handlung gegen den erkennbaren Willen vorgenommen wurde – ob also ein „Nein“ geäußert oder gezeigt wurde und ob dieses auch als solches erkennbar war. In solchen Fällen kann es ratsam sein, bereits früh im Ermittlungsverfahren eine eigene, strukturierte Einlassung abzugeben. Darin kann dargelegt werden, wie die Situation aus Sicht des Beschuldigten erlebt wurde, welche Dynamik die Begegnung hatte und warum kein entgegenstehender Wille erkennbar war.
Eine solche Stellungnahme erfordert jedoch große juristische Sorgfalt und psychologisches Feingefühl. Denn jede Einlassung wird auf innere Stimmigkeit, Realitätsnähe und Glaubhaftigkeit geprüft. Was gut gemeint ist, kann bei ungeschickter Formulierung belastend wirken. Daher ist es entscheidend, frühzeitig mit einer qualifizierten Verteidigung zu arbeiten – mit dem Ziel, bereits im Ermittlungsverfahren eine Einstellung des Verfahrens zu erreichen.
2. Anzeige wegen sexueller Belästigung ohne Zeugen
Auch bei dem Vorwurf sexueller Belästigung steht häufig Aussage gegen Aussage – insbesondere, wenn sich der angebliche Vorfall ohne Zeugen oder sichtbare Spuren ereignet haben soll. In vielen Fällen beginnt alles mit einer polizeilichen Vorladung im Sexualstrafrecht – einem Moment, der juristisch und emotional weitreichende Folgen haben kann. Auslöser kann bereits eine subjektiv als unangemessen empfundene Geste oder Bemerkung sein. In der Konsequenz droht ein Ermittlungsverfahren, das allein auf der Aussage der belastenden Person basiert.
Solche Vorwürfe betreffen oft Situationen im sozialen oder beruflichen Alltag: Gespräche unter Kollegen, kurze Berührungen, augenzwinkernde Andeutungen. Gerade im Grenzbereich zwischen kollegialer Vertrautheit und möglicher Grenzüberschreitung entstehen schnell Missverständnisse – oder es kommt zu gezielten, kontextlosen Vorwürfen, deren Tragweite nicht sofort absehbar ist.
Wird ein Beschuldigter zu einer polizeilichen Vernehmung vorgeladen, geht es nicht nur um die Klärung eines angeblichen Fehlverhaltens – es geht auch um seine strafrechtliche, berufliche und soziale Zukunft. Der Tatbestand des § 184i StGB sieht bereits für die „einfache“ sexuelle Belästigung eine Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe vor. In besonders schweren Fällen – etwa bei gruppendynamischem Verhalten – erhöht sich der Strafrahmen auf drei Monate bis zu fünf Jahre.
Diese Strafandrohungen stehen in einem Spannungsverhältnis zur häufig geringen Beweislage. Denn das Strafrecht verlangt objektivierbare Schuld – kein bloßes Gefühl. Und doch kann ein subjektiv geprägter Vorwurf wegen Sexueller Belästigung ausreichen, um ein Ermittlungsverfahren in Gang zu setzen. Gerade deshalb ist eine frühe, sachlich präzise und taktisch kluge Verteidigung hier besonders wichtig – nicht nur zur Abwehr strafrechtlicher Folgen, sondern auch zum Schutz der eigenen Integrität.
3. Aussage gegen Aussage – zwei gegen eins?
Besonders belastend wird die Situation für Beschuldigte, wenn nicht nur eine, sondern gleich zwei Personen eine belastende Aussage machen. Der erste Reflex: „Jetzt glaubt mir erst recht niemand.“ Doch juristisch gilt: Zwei Aussagen bedeuten nicht automatisch doppelte Beweiskraft.
Häufig beruht die zweite Aussage nicht auf eigener Wahrnehmung des mutmaßlichen Geschehens, sondern auf dem, was die andere Person erzählt hat – etwa gegenüber einer Freundin, Kollegin oder Familienangehörigen. Solche Aussagen sind sogenannte mittelbare Bekundungen. Sie gelten nicht als eigenständiger Beweis für das, was tatsächlich passiert sein soll, sondern spiegeln lediglich wider, was der Zeugin oder dem Zeugen berichtet wurde. Die Beweiswirkung ist begrenzt.
Selbst wenn zwei Belastungszeugen vermeintlich unabhängig voneinander aussagen, muss sorgfältig geprüft werden, ob vor der Vernehmung ein Austausch stattgefunden hat. Solche Vorkontakte – ob bewusst oder unbewusst – können Inhalt, Wortwahl und Bewertung beeinflussen. Gerade bei engen sozialen Beziehungen wie Freundschaften oder familiären Bindungen sind Solidarisierungseffekte, Erwartungshaltungen oder Bestätigungsmechanismen keine Seltenheit.
Oft stützt sich die Anklage zudem auf ärztliche Berichte, etwa über Verletzungen. Doch auch hier gilt: Solche Berichte belegen lediglich medizinische Befunde – nicht deren Ursache. Ein Hämatom mag dokumentiert sein – die entscheidende Frage bleibt aber, wie es entstanden ist und ob es tatsächlich auf eine strafbare Handlung zurückzuführen ist.
In solchen Konstellationen liegt die Aufgabe als Anwalt für Sexualstrafrecht darin, mögliche Verflechtungen zwischen den Aussagen offenzulegen und aufzuzeigen, warum die Beweiskraft begrenzt ist. Denn entscheidend ist nicht die Zahl der Belastungszeugen – sondern die Belastbarkeit ihrer Aussagen.
4. Wann gilt „im Zweifel für den Angeklagten“?
Viele Beschuldigte glauben, dass bei widersprüchlichen Aussagen automatisch der Grundsatz „im Zweifel für den Angeklagten“ (in dubio pro reo) greift. Doch das ist ein verbreiteter Irrtum. Dieser Grundsatz findet erst am Ende der Beweisaufnahme Anwendung – wenn das Gericht trotz sorgfältiger Prüfung keine ausreichende Gewissheit über die Schuld gewinnen konnte.
Vorher steht eine andere, sehr viel komplexere Aufgabe: Das Gericht prüft, ob die belastende Aussage in sich stimmig, detailreich, widerspruchsfrei und realitätsnah ist – kurz: ob sie als glaubhaft einzustufen ist. Und das bedeutet: Auch eine einzige Aussage kann für eine Verurteilung ausreichen – selbst wenn der Beschuldigte schweigt oder die Tat bestreitet.
Im Sexualstrafrecht ist genau das keine Ausnahme, sondern Alltag. Denn sexuelle Kontakte geschehen meist unter Ausschluss Dritter. Es gibt keine Zeugen, keine Kamera, keine Spuren – nur zwei Versionen eines Ereignisses. Die Justiz reagiert darauf mit einem methodisch geschulten Instrumentarium der Glaubwürdigkeitsprüfung.
Die Verteidigung muss deshalb nicht nur auf Widersprüche achten, sondern gezielt prüfen lassen:
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Wie ist die belastende Aussage entstanden?
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Wie entwickelt sie sich im Laufe des Verfahrens?
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Gibt es Anzeichen für Suggestion, für externe Einflussnahmen, für Erinnerungslücken oder eine übermäßige emotionale Aufladung?
Von großer Bedeutung ist hier das strukturierte Hypothesentestverfahren – eine Methode der Aussagepsychologie, bei der geprüft wird, ob alternative Erklärungen ebenso plausibel sind wie die belastende Variante. Etwa: War es wirklich eine Vergewaltigung – oder könnte ein Missverständnis, eine nachträgliche Re-Interpretation oder sogar eine bewusste Konstruktion vorliegen?
Erst wenn das Gericht diese alternativen Hypothesen nachvollziehbar ausschließt, darf es zu einer Verurteilung kommen. Die Verteidigung setzt genau hier an – um Zweifel sichtbar zu machen und damit das Fundament einer Verurteilung zu erschüttern.
Wann wird das Verfahren eingestellt?
In Konstellationen von Aussage-gegen-Aussage ist das vorrangige Ziel der Verteidigung, das Verfahren so früh wie möglich zu beenden – idealerweise bereits im Ermittlungsverfahren. Denn solange kein hinreichender Tatverdacht besteht, kann und muss die Staatsanwaltschaft das Verfahren gemäß § 170 Abs. 2 StPO einstellen. Und genau darauf zielt die anwaltliche Strategie ab.
Entscheidend ist die systematische Schwächung der belastenden Aussage: Fehlt es an Details? Ist der Ablauf widersprüchlich geschildert? Ändern sich die Angaben im Zeitverlauf? Bestehen Zweifel an der Entstehung der Erinnerung – etwa durch emotionale Überlagerung, suggestive Befragungen oder Fremderzählungen?
Auch die Frage, ob die Aussage auf einem stabilen autobiografischen Gedächtnis basiert – oder eher auf nachträglicher Konstruktion – spielt eine zentrale Rolle. Aussagepsychologisch geschulte Verteidigung prüft genau diese Aspekte. Und wenn sich zeigt, dass die Aussage nicht trägt, kann eine Einstellung wegen fehlender Belastbarkeit folgen – auch ohne dass ein Freispruch notwendig wäre.
Für die Betroffenen bedeutet das nicht nur eine juristische Entlastung, sondern vor allem eines: Schutz vor öffentlicher Bloßstellung, Rufschädigung und den psychischen Folgen eines Strafprozesses. Denn eine Verhandlung wegen eines Sexualdelikts bedeutet in den meisten Fällen auch mediale und gesellschaftliche Sichtbarkeit – selbst bei Freispruch.
Eine frühzeitige Einstellung ist deshalb oft der wirksamste Schutz.

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Ich hoffe, ich konnte Ihnen einen ersten groben Überblick über den Bereich der Sexualdelikte geben und zumindest die dringendsten Fragen beantworten. Dennoch ist diese Übersicht allgemein gehalten und ersetzt in keinem Fall ein individuelles Beratungsgespräch. Eine erste Information im Internet kann ein persönliches Gespräch über den individuellen Fall nicht ersetzen.
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